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Die Erschießung von Ludwigsburg

Im Gefängnis von Ludwigsburg sitzen sechzehn Gefangene „N. N.“, die im April 1944 vom Freiburger Gericht zum Tode verurteilt worden waren, und warten auf die Vollstreckung des Urteils. Jeder ist in seiner Zelle isoliert, die mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, einem Regal und einem großen Fenster ausgestattet ist, durch dessen Scheibe man den Himmel und die Bäume sehen kann, wenn man sich hochzieht.
Täglich ist ein Spaziergang von einer Dreiviertelstunde im Hof gestattet, ebenso wie die freie Nutzung der Bücher in der Bibliothek. Im Laufe des Tages stellen die Häftlinge verschiedene Gegenstände her, insbesondere Papiertüten.
Im Morgengrauen des 23. Mai 1944 endet eine Nacht wie jede andere, aber die 16 Verurteilten werden früher als üblich geweckt und sehen sich bald in einem Raum versammelt, in den kurz darauf ein Pastor und ein katholischer Priester gebracht werden.
Der Militärbeamte verliest das Urteil in deutscher und französischer Sprache. Nicht das geringste Anzeichen von Schwäche. Alle auf einmal rufen die sechzehn Häftlinge, die sterben werden: „Vive la France!“, umarmen und küssen sich. Und der Beamte, der gerade das Urteil verlesen hat, vertraut etwas später dem Direktor des Gefängnisses an: Ich wünschte, alle Deutschen wüssten so gut zu sterben.
Während der Pastor dem einzigen protestantischen Verurteilten aus der Bibel vorliest, nimmt der katholische Priester die Beichte ab. Bevor sie das Gefängnis verlassen, trinken die sechzehn Franzosen eine Tasse Kaffee und nehmen dann, nachdem sie Zigaretten erhalten haben, in einem großen Planwagen Platz, während die beiden Priester in einem anderen Auto folgen.
Innerhalb weniger Minuten erreichen die Fahrzeuge den Ort, der ausgewählt wurde. Drei Kilometer von Ludwigsburg entfernt liegt eine von großen Kastanienbäumen beschattete Lichtung, mitten im Grünen, am Rande eines Waldes. Der kleine Tross legt zu Fuß eine Strecke von etwa 50 Metern zurück. Jeder erreicht den ihm zugewiesenen Platz. Während sie an die Pfähle gebunden werden, zeigen sie eine außergewöhnliche Beherrschung und rufen einander zu:
Bis bald im Himmel. Die Salve ertönt, als der deutsche Priester das Amen des Vaterunsers auf Französisch spricht.
Die Särge, die sorgfältig versteckt worden waren, werden herbeigebracht und die Beerdigung findet auf sehr würdige Weise statt, wie der Priester versichert, der dabei war und der, wie er es ihnen versprochen hatte, eine halbe Stunde nach der Hinrichtung eine Messe für die Ruhe ihrer Seelen liest.
Ludwigsburg ist in der Tat der einzige Ort, an dem wir die gepflegten und mit Kreuzen mit den Namen der Erschossenen versehenen Gräber fanden, während alle anderen deutschen Städte den drakonischen Anweisungen des schrecklichen „Nacht und Nebel“-Erlasses Folge geleistet hatten, was uns zu zahlreichen Verhören und Ermittlungen zwang, um das mysteriöse Verschwinden unserer Freunde aufzuklären.


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Übersetzung: Lea Leistenschneider

Der Bericht stammt aus dem Buch „Memorial de l'Alliance“, das 1947 Vereinigung der Freunde der Résistance-Einheit „L'Alliance" in Paris herausgegeben wurde.
Das Buch ist vergriffen. Es ist als PDF unter folgendem Link verfügbar: https://reseaualliance.org/2022/07/04/memorial-de-lalliance/

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Der Neue Friedhof in Ludwigsburg mit den Gräbern der Hinrichtungs-Opfer, kenntlich gemacht durch Holzkreuze. Die Abbildung stammt aus dem Buch „Memorial de l'Alliance“ (s.o.). Die Toten wurden im Sommer 1947 exhumiert und ihrer Heimat beerdigt.


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