Belgische Geheimarmee („Armée Secrète“)

Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen, am 10. Mai 1940 das neutrale Belgien. Genau fünf Jahre nach Kriegsbeginn exekutierten Soldaten der Division 465 vier belgische Widerstandskämpfer der „Armée Secrète“ im Schießtal. Sie stammten aus der Region Hainaut (Hennegau) an der Grenze zu Frankreich und waren in Gemeinden im Umkreis von 20 Kilometer aufgewachsen. Die Region war damals vom Steinkohlebergbau geprägt und demzufolge 60 Prozent der Bevölkerung Arbeiter. Bei den letzten Wahlen vor dem Zweiten Weltkrieg im April 1939 erreichte die Belgische Arbeiterpartei (Sozialisten) 44,2 Prozent der Stimmen und lag damit vor der Katholischen Partei (21,2 Prozent), der Liberalen Partei (18,2 Prozent) und der Kommunistischen Partei (9,5 Prozent).

1940 hatte Pater Dropsy, Professor am Kain College, in Tournai eine Gruppe „Belgische Legion“ gegründet. Ende September 1940 wurden sie als Nachrichtendienst organisiert. Ab Oktober 1942 beteiligte sich eine immer größere Zahl von Arbeitern am Widerstand, ab 1943 auch Bauern. Entscheidend dafür war gegenseitiges Vertrauen: Die Verbindungen zur Teilnahme am Widerstand waren familiärer, beruflicher, politischer, religiöser, gewerkschaftlicher Natur oder einfach gute Nachbarschaft.

Die deutsche Spionageabwehr, Abwehrstelle Belgien, schätzte die Aktivitäten am 8. November 1942 so ein: „Das Corps ist […] eine Organisation, die rein militärisch ist. Es neigt dazu, eine belgische Geheimarmee zu bilden und hat sicherlich keinen politischen Charakter. Seine Absicht ist es, am D-Day einen bewaffneten Aufstand während der Landung durch die Westalliierten zu provozieren. Zu diesem Zweck beabsichtigen sie einerseits die Besatzungsarmee anzugreifen und zweitens der Besatzungsmacht Schaden zuzufügen und sie daran zu hindern, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.“

Die Gruppe wuchs bis zum Frühjahr 1942. Dann gelang es der Abwehrstelle Belgien, eine Liste mit 200 Führungskräfte der „Armée Secrète“ (AS) in die Hände zu bekommen. Am 28. April 1943 verhaftete die „Geheime Feldpolizei“ nach Angaben einer Quelle 170 Anführer der Legion, nach einer anderen Quelle 143. Den ganzen Sommer über kam es zu Verhaftungswellen, die mit der Unerfahrenheit der Mitglieder mit der Untergrundarbeit zusammenhingen. Drei Viertel der Verhafteten kamen aus Deutschland nicht zurück.

Im April 1943 war die Organisation nicht weit davon entfernt, durch die Verhaftungen aufgerieben zu werden. Einige Führungskräfte entkamen jedoch der deutschen Polizei. Ihre Bemühungen zur Wiederherstellung der Bewegung wurden nun von der englischen Regierung gefördert, die ihnen im Sommer 1943 Anweisungen und Geld sandte. Insgesamt wurden zwischen Anfang 1943 und der Befreiung Belgiens fast 1.800 mit militärischer Ausrüstung gefüllte Container abgeworfen. Um den regulären Charakter der Gruppe zu dokumentieren, hatte sie ihren Namen in „Belgische Armee“ und schließlich in „Belgische Geheimarmee“ geändert.

Ab September 1943 wurde die Truppen in Kompanien, Zügen, Abteilungen usw. zu organisiert. Die Zone I umfasste den Hennegau und die Provinz Namur bis zum rechten Ufer der Maas. Sie hatte vier Sektoren und 13 Schutzhütten. Man ging davon aus, dass in diesem Teil Belgiens die wichtigsten Befreiungsoperationen der Alliierten stattfinden würden. Mangels Waffen waren militärische Einsätze aber zunächst begrenzt.

Die Zahl der Sabotagen stieg vom September 1943 zwischen 100 und 250 pro Monat bis auf 400 bis 600 pro Monat von Juni bis August 1944. Ein Indiz für die stärker werdenden Widerstandsaktivitäten ist die Entwicklung der Verhaftungen: weniger als fünf Prozent aller Widerstandskämpfer wurden vor Ende 1941 festgenommenen - ab 1942 sind es fünfmal mehr als 1941.

Am 1. Juni 1944 wurde Widerstandsgruppe Geheime Armee (A.S.) von der Londoner Exilregierung in London ein offizielle militärischer Status verliehen, der sie von anderen Widerstandsbewegungen unterschied. Das Kommando lag nun bei General Jules Pire. Ab diesem Datum begann der wirklich aktive Widerstand mit Waffen und Sprengstoff, die per Fallschirmabwurf zugestellt wurden.

Von den Aktiven in der AS starben 2.195 während der Haft (darunter 52 Frauen) und weitere 657 (darunter 8 Frauen) wurden hingerichtet, darunter die vier in Ludwigsburg Erschossenen (Victor Coudron, Pierre Harmegnies, Bernard Ernest Francois Hequet und André Leou Loi).


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Victor Coudron

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Gedenktafel für Pierre Harmegnies

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Trauerkarte für André Loi

Quellen:

Pierre van Haute: Pire: Armée secrète 1940 - 1944

Fabrice Maerten: Jeunesse et Résistance. Entre mythe et réalité Le cas du Hainaut, 1940-1944

Fabrice Maerten: La résistance en Belgique durant la Seconde Guerre mondiale

Seconde Guerre mondiale à Dour (https://www.douretsafollehistoire.be/2020/05/04/liberation-de-dour-septembre-1944 - Abruf 15.08.2023)

StALB E 356 d II, Bü 29

StALB E 356 d II, Bü 53

StALB E 356 d II, Bd. 38


Belgischer Widerstand gegen die NS-Besatzung

Der belgische Widerstand war in viele separate Organisationen aufgeteilt, je nach Regionen und politischen Positionen. Während der deutschen Besatzung fanden sie nie zu einer einheitlichen Organisation. Sie reichten von der Linken wie den kommunistischen Partisanen oder der hauptsächlich sozialistischen „Front de l'Indépendance“ bis zur äußersten Rechten wie dem monarchistischen „Mouvement National Royaliste“ und der „Légion Belge“, die von Mitgliedern der belgischen Vorkriegsfaschisten geschaffen worden waren. Die „Front d'Indépendence“ vereinte seit 1941 Gruppen aus unterschiedlichen politischen Lagern unter ihrem Dach, unter anderem auch „Comité des defense de Juifs“ (Komitée zur Verteidigung der Juden) gehörte. Es gab jedoch auch andere Gruppen wie die „Gruppe G“, die ohne offensichtliche politische Zugehörigkeit – meist aus dem universitätsnahen Bereich – technische Sabotage betrieb. Der Widerstand umfasste sowohl Männer als auch Frauen aus wallonischen und flämischen Teilen des Landes, allerdings gab es im wallonischen Teil mehr Widerstandsaktionen.

Abgesehen von der Sabotage der militärischen Infrastruktur im Land und der Ermordung von Kollaborateuren veröffentlichten diese Gruppen auch eine große Anzahl von Untergrundzeitungen, sammelten Informationen und unterhielten verschiedene Fluchtnetze, die alliierten Fliegern, die hinter feindlichen Linien abgeschossen oder abgestürzt waren, bei der Flucht aus dem von Deutschland besetzten Teil Europas halfen.

Es wird geschätzt, dass während des Krieges ungefähr fünf Prozent der nationalen Bevölkerung an irgendeiner Form von Widerstandsaktivität beteiligt waren, während Schätzungen zufolge die Zahl der getöteten Widerstandsmitglieder auf über 19.000 geschätzt wurde, rund 25 Prozent seiner „aktiven“ Mitglieder.

Viele Belgier versteckten während der Besatzung auch Juden und politische Dissidenten: Schätzungen zufolge wurden während des Krieges rund 20.000 Menschen versteckt. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wurden in Belgien mehr Juden gerettet als in irgendeinem anderen europäischen Land. Es gab auch erheblichen Widerstand auf niedrigem Niveau: So weigerte sich der Stadtrat von Brüssel im Juni 1941, Davidsterne-Abzeichen zu verteilen. Insgesamt wurden 1.612 Belgier vom Staat Israel als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet, weil sie ihr Leben riskierten, um Juden vor der Verfolgung während der Besatzung zu retten.

Das Special Operations Executive (SOE) war eine geheime britische Organisation im Zweiten Weltkrieg. Sein Zweck war es, im besetzten Europa Spionage, Sabotage und Aufklärung gegen die Achsenmächte durchzuführen und lokale Widerstandsbewegungen zu unterstützen. Die Organisation beschäftigte oder kontrollierte direkt mehr als 13.000 Menschen, von denen etwa 3.200 Frauen waren.

Die Sektion T des SOE baute einige effektive Netzwerke in Belgien auf, die teilweise vom Modedesigner Hardy Amies geleitet wurden, der zum Oberstleutnant aufstieg. Amies passte Namen von Modeaccessoires an, um sie als Codewörter zu verwenden. Die belgischen Mitglieder des SOE halfen den Alliierten, die deutsche Nachhut zu umgehen, und ermöglichten es den Alliierten, den lebenswichtigen Hafen von Antwerpen intakt zu erobern.

Das Fluchtnetzwerk „Réseau Comète“

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Das ausgedehnteste belgische Fluchtnetzwerk - später als Réseau Comète bezeichnet - wurde 1940 von der zu diesem Zeitpunkt erst vierundzwanzigjährigen Andrée de Jongh gegründet. Das Netzwerk schleuste abgeschossene Piloten der Alliierten, aber auch verfolgte Juden aus dem Land. Viele der von den Fluchthelfern betreuten Soldaten wurden in Brüssel neu eingekleidet, mit falschen Ausweispapieren versorgt und danach bis zu ihrer Abreise versteckt. Das Netzwerk hatte mehrere Routen aufgebaut, über welche dann die Flüchtlinge geleitet wurden. Eine der typischen Strecken führte von Brüssel oder Lille nach Paris und dann via Tours, Bordeaux und Bayonne über die Pyrenäen nach San Sebastián ins neutrale Spanien. Von dort reisten die Flüchtlinge nach Bilbao, Madrid und schließlich Gibraltar.

Wer Fluchthilfe leistete, setzte dadurch sein Leben aufs Spiel und riskierte Repressalien für die eigene Familie. Ab November 1942 wurde die Tätigkeit des Netzwerkes noch gefährlicher, da nun auch Südfrankreich von den Deutschen besetzt war. Viele Mitglieder des Netzwerkes wurden verraten; Hunderte wurden verhaftet, um nach Wochen von Verhören und Folterungen, hingerichtet oder zu Häftlingen gemäß Nacht-und-Nebel-Erlass (siehe „Allgemein“) erklärt zu werden.

Diese Häftlinge wurden in deutsche Gefängnisse gebracht, später auch in Konzentrationslager wie etwa das KZ Ravensbrück für die Frauen, sowie Mauthausen-Gusen, Buchenwald, oder Flossenbürg. Allein durch das Réseau Comète wurden ca. 800 Soldaten gerettet werden. Nach Schätzungen haben insgesamt 2.373 Soldaten aus Großbritannien und dem Commonwealth sowie 2.700 Amerikaner mit Hilfe solcher Fluchtnetzwerke während des Zweiten Weltkrieges die britischen Inseln erreicht. Die RAF Escaping Society geht für das Jahr 1945 von insgesamt ca. 14.000 Fluchthelfern aus. Da die Flieger auch längere Zeit in zivilen Häusern versteckt sein mussten, waren Fluchtlinien besonders gefährdet. Im Verlauf des Krieges wurden allein 800 Mitglieder der "Cometè"-Linie von der Gestapo festgenommen, von denen 140 hingerichtet wurden.

Die nachfolgenden Mitglieder des Reseau Comète wurden alle am 19. April 1944 in Ludwigsburg aufgrund der Verurteilung des Feldgerichts des Kommandierenden Generals im Luftgau VII, Außenstelle Stuttgart hingerichtet. Am 10. November 1949 wurde die sterblichen Überreste der Opfer nach Belgien überführt.

Quellen:http://www.cometeline.org/cometmembresmortpourlacause.htm · http://www.cometeline.org/liste-helpers-LMNOP.htm (darin Leroux, Maurice) · http://www.cometeline.org/cometelinkpage.htm



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